Die Grenzgänger

Hochinteressantes Konzept

Die Gruppe hat ohne Zweifel ein hochinteressantes Konzept, das sie mittlerweile schon mit ihrem dritten Tonträger konsequent weiter führt. Es werden nicht nur musikalisch deutsche Wurzeln bekannt gemacht und aufgearbeitet, sondern das Konzept erlaubt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Wurzeln. Die Gruppe fungiert als „Mittler von Geschichte“. Doch was sind diese Wurzeln und wie sieht dieses Konzept aus? Aber der Reihe nach!

Das damalige Duo „Grenzgänger“ gewann bereits mit ihrem ersten Projekt „Die Schiffe nach Amerika“ den Deutschen Folk-Förderpreis 1995. Dieses Projekt ließ bereits als Erstlingswerk aufhorchen. Es war eine musikalische Auseinandersetzung mit der großen Auswanderungswelle im 19. Jahrhundert. Eine Zeit, in der insbesondere über den Auswanderungshafen Bremerhaven Millionen Deutsche ihre Vaterlandsflucht antraten. Eine Flucht vor Armut, Unterdrückung und Willkürherrschaft, die es musikalisch wieder in Erinnerung zu bringen galt.
Der nächste Tonträger ließ leider (zu lange) auf sich warten. Aus dem Duo war mittlerweile ein Trio geworden. Aber die CD „Knüppel aus dein Sack“ aus dem Jahre 2002 heimste einen Preis nach dem anderen ein. Diese CD mit dem Untertitel „Garstige Gesänge des H. Hoffmann von Fallersleben“ (auch Verfasser der deutschen Nationalhymne) bot eine Geschichtsstunde im modernen Klanggewand mit Elementen aus Folk, Rock, Jazz. Stets musikalisch und textlich rotzfrech, unterlegt mit unvermindert aktuellen gesellschaftskritischen Themen des Volksliedsforschers von Fallersleben.

Aktuell ist die neue Veröffentlichung „1920″. Die Grenzgänger (mittlerweile zum Quartett geworden) stellen ergänzt durch das Ruhrpott-Original F’rank Baier ihr neues Projek mit Liedern aus der Zeit der Märzrevolution 1920 (nach dem so genannten Kapp-Putsch) vor. Dieser gescheiterte Militärputsch, angeführt durch den rechtsradikalen Politiker Wolfgang Kapp, bedrohte die noch junge Weimarer Republik. Daraus entstanden Generalstreiks, bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Arbeiterschaft und Militär, und die Forderung nach gesellschaftspolitischen Veränderungen.

Das ausführliche Booklet, das mit 68 Seiten so dick und informativ ist, dass es nicht mit in die CD-Hülle (sondern in einen Extra-Pappschuber) passt, bietet sehr lesenswerte Hintergrundinformationen zu diesem Putsch.

Musikalisch und stilistisch ist diese CD sehr abwechslungsreich (kleine Rap-Einlagen, ansonsten mit überwiegend akustischer .Instrumentierung). Sehr hörenswert und besonders hervorzuheben ist die akustische Version der „Internationale“ (sehr tragend und gefühlvoll). Frank Baier bringt sich mit seiner Kohlenpottstimme (Ukulele, Quetsche, Gitarre, Mundharmonika und Harfe) gekonnt ein.

Am Ende der CD ist noch ein Tondokument des Bergmanns und Arbeiterdichters Johannes Leschinsky (geboren 1903) enthalten. Nach einer Einleitungsrede singt Leschinsky a capella und mit Inbrust den Titel „Es zog ein Rotgardist hinaus“. Eine passendes Ergänzung dieser CD.

Angesichts des Erfolgs der Gruppe (Liederbestenliste April und Mai 2006 Platz 1) und der mehrfachen Ausgezeichnungen (Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2/2006, CD des Monats März 2006) hat das Folkmagazin den musikalischen Kopf der Gruppe (Michael Zachcial) nach weiteren Zukunftsprojekten befragt. Das erfolgreiche Konzept der Wiederaufbereitung von historischem Material soll weiter verfolgt werden. Geplant sei in Kürze die Veröffentlichung einer 3-CD in Zusammenarbeit mit dem Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager. Die Gruppe Grenzgänger steuert einige Titel bei. Es geht um die Veröffentlichung von Liedgut der Inhaftierten der Konzentrations- u. Strafgefangenlager aus Zeiten des NS-Staates.

Folk-Magazin, Mike Wolf, Bremen