Die Grenzgänger

Leicht Gepäck

Ich bin ein freier Mann und singe
Mich wohl in keine Fürstengruft
Und alles, was ich mir erringe
Ist Gottes liebe Himmelsluft
Ich habe keine stolze Feste
Von der man Länder übersieht
Ich wohn ein Vogel nur im Neste
Mein ganzer Reichtum ist mein Lied

Ich durfte nur, wie andre, wollen
Und wär nicht leer davongeeilt
Wenn jährlich man im Staat die Rollen
Den treuen Knechten ausgeteilt
Allein ich hab nie zugegriffen
So oft man mich herbei beschied
Ich habe fort und fort gepfiffen
Mein ganzer Reichtum ist mein Lied

Der Lord zapft Gold aus seiner Tonne
Und ich aus meiner höchstens Wein
Mein einzig Gold die Morgensonne
Mein Silber all der Mondenschein
Färbt sich mein Leben herbstlich gelber
Kein Erbe, der zum Tod mir riet
Denn meine Münzen prägt ich selber
Mein ganzer Reichtum ist mein Lied

Gern sing ich abends zu dem Reigen,
Vor Thronen spiel ich niemals auf
Ich lernte Berge wohl ersteigen
Paläste komm ich nicht hinauf
Indes aus Moder, Sturz und Wettern
Sein golden Los sich mancher zieht
Spiel ich mit leichten Rosenblättern
Mein ganzer Reichtum ist mein Lied

Nach dir, nach dir steht mein Verlangen
O schönes Kind, o wärst du mein
Doch du willst Bänder, du willst Spangen
Und ich soll dienen gehen? Nein
Ich will die Freiheit nicht verkaufen
Und wie ich die Paläste mied
Laß ich getrost die Liebe laufen
Mein ganzer Reichtum sei mein Lied

Text: Georg Herwegh, 1840