Die Grenzgänger

Vor vollen Schüsseln muss ich Hungers sterben

Vor vollen Schüsseln muss ich Hungers sterben
am heissen Ofen frier ich mich zu Tod
wohin ich greife fallen nichts als Scherben
bis zu den Zähnen geht mir schon der Kot
Und wenn ich lache, habe ich geweint,
und wenn ich weine, bin ich froh,
dass mir zuweilen auch die Sonne scheint,
als könnte ich im Leben ebenso
zerknirscht wie in der Kirche niederknien…
ich, überall verehrt und angespien.

Nichts scheint mir sichrer als das nie Gewisse
nichts sonnenklarer als die schwarze Nacht
Nur das ist mein, was ich betrübt vermisse
und was ich liebte, hab ich umgebracht
Selbst wenn ich denk, dass ich schon gestern war
bin ich erst heute Abend zugereist
Von meinem Schädel ist das letzte Haar
zu einem blanken Mond vereist
Ich habe kaum ein Feigenblatt, es anzuziehn
ich, überall verehrt und angespien

Ich habe dennoch soviel Mut zu hoffen
dass mir sehr bald die ganze Welt gehört
und stehn mir wirklich alle Türen offen
schlag ich sie wieder zu, weil es mich stört
dass ich aus goldnen Schüsseln fressen soll
Die Würmer sind schon toll nach meinem Bauch
ich bin mit Unglück bis zum Halse voll
und bleibe unter dem Holunderstrauch
auf den noch nie ein Stern herunterschien
François Villon, verehrt und angespien

Text: Francois Villon (1431 – 1463?),
Nachdichtung von Paul Zech
Musik: Michael Zachcial –